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Coronavirus – Rechte und Pflichten von Jugendreise-Veranstaltern

Im Gespräch mit Anja Smettan-Öztürk, Spezialistin für Reise- und Tourismusrecht

Nach der Absage der ITB 2020 in Berlin und dem sich weiter verbreitenden Coronavirus, machen sich viele Reiseveranstalter Gedanken, welche Auswirkungen dies auf ihre kommenden Reisen hat. Wir haben zu diesem Thema mit der Spezialistin für Reise- und Tourismusrecht Anja Smettan-Öztürk gesprochen. Welche Rechten und Pflichten ihr als Veranstalter von Feriencamps, Jugendreisen und Sprachreisen habt, klären wir im Interview mit ihr.

Bitte beachte: Das Gespräch führten wir am 5. März 2020!

Da sich die Lage täglich verändert, findet ihr hier aktuelle Informationen rund um das Coronavirus.

Was ist ein unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstand?

Davon spricht man dann, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare Umstände auftreten, die dann die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Das ist erst einmal der Gesetzeswortlaut. 

Und dann erklärt der Gesetzgeber an einer weiteren Stelle, was denn nun Umstände sein sollen: „Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft.“ Und wenn man sich dazu die Rechtsprechung bzw. die Kommentierung zum Gesetz anschaut, dann sind das eigentlich die Umstände, die wir früher schon als Umstände im Sinne der „höheren Gewalt“ gefasst haben: Also Epidemien, wie damals zum Beispiel SARS oder jetzt das Coronavirus sind auf jeden Fall außergewöhnliche Umstände. Außerdem solche Sachen, wie kriegsähnliche Zustände, großflächige Terror-Aktivitäten oder der Vulkanausbruch auf Island. Das sind Klassiker, die für einen außergewöhnlichen Umstand sprechen.

Haben die Reisenden in diesem Fall besondere Rechte? Dürfen sie in diesem Fall ohne entstehende Stornokosten stornieren?

Die Reisenden haben nur, wenn ein außergewöhnlicher Umstand am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe vorliegt oder dieser die Beförderung unmöglich macht, die Möglichkeit kostenlos zu stornieren.  Ansonsten fallen Stornokosten an und auf die darf sich der Veranstalter natürlich auch beziehen, weil er muss ja seine Leistungsträger auch bezahlen. 

Wenn zum Beispiel eine Schule oder die Schulverwaltung aus Vorsorge ein Reiseverbot für die gesamte Schule verhängt, dann ist das kein außergewöhnlicher Umstand im reiserechtlichen Sinne! Man muss immer wieder auf die Definition zurückschauen: „außergewöhnlicher Umstand am Bestimmungsort oder in dessen Nähe“ beziehungsweise eine Anordnung, die die Anreise unmöglich macht. Natürlich ist es für die Schule eine außergewöhnliche Situation, aber hier geht es ja um die Frage, ob Stornokosten bzw. wann keine Stornokosten anfallen. 

Die Veranstalter sollten wirklich im Einzelfall prüfen, wenn ein Kunde einen Rücktritt auf einen „außergewöhnlichen Umstand am Bestimmungsort“ stützt, ob dieser tatsächlich vorliegt.

Es gibt sozusagen folgende Unterscheidungen: Wenn es eine tatsächliche Reisewarnung gibt, dann ist der Kunde abgesichert. Wenn es jetzt aber ein persönlicher Eindruck ist und die Person aus Angst und Vorsorge die Reise nicht antreten möchte, dann gelten die normalen Storno-Bedingungen. 

Absolut richtig. Genau so ist es, das haben Sie gut zusammengefasst.  

Eine Reisewarnung ist dabei immer ein ganz starkes Indiz für einen außergewöhnlichen Umstand. Dennoch kann es auch ohne eine Reisewarnung ein außergewöhnlicher Umstand angenommen werden, wenn zum Beispiel eine Stadt von einem auf den anderen Tag abgeriegelt wird, das Auswärtige Amt aber so schnell noch keine Reisewarnung ausgesprochen hat. Dann ist das natürlich trotzdem auch ein außergewöhnlicher Umstand

Und wenn man sich die Reisewarnungen vom Auswärtigen Amt anschaut, dann beziehen sich diese momentan auf die Provinz Hubei in China und auf Italien. Es gibt aber auch Teilreisewarnungen, bei denen lediglich dazu geraten wird von diesen Regionen Abstand zu nehmen. Man muss also wirklich genau schauen, ob es eine echte Reisewarnung gibt und wie die Situation konkret vor Ort aussieht. 

Wie können sich unsere Veranstalter dagegen absichern? Gibt es Versicherungen, die in einem solchen Fall die entstehenden Kosten für den Veranstalter übernehmen?

Ja da gibt es Versicherungen – solche haben aber die wenigsten Veranstalter. Im Event-Bereich ist das sehr verbreitet. Jetzt wurde gerade in Berlin zum Beispiel ein Konzert abgesagt und der Veranstalter muss allen Kunden die Kartenpreise zurückerstatten und bleibt selbst auf vielen Kosten sitzen. Deshalb ist im Event-Bereich die sogenannte „Veranstalter-Ausfall-Versicherung“ sehr verbreitet. Für diese plädiere ich schon lange auch bei Reiseveranstaltern, denn der erhebliche Schaden liegt auf der Hand. Oftmals reichen die Stornokosten gar nicht aus, um den Schaden abzudecken. Wird der Rücktritt nämlich noch rechtzeitig erklärt und der Kunde ist in der Stornostaffel noch recht tief, dann hat der Veranstalter vielleicht trotzdem viel höhere Kosten bei seinen eigenen Leistungsträgern. Diese „Veranstalter-Ausfall-Versicherung“ kommt zum Beispiel auch für die Provisionen auf, wenn die Reise über einen Vermittler gebucht wurde.  

Und wenn ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, dann fallen gar keine Stornogebühren an, richtig?

Eben! Und insofern ist da die Ausfall-Versicherung die einzige Versicherung, die so etwas abdeckt. Aber die wenigsten Reiseveranstalter haben so etwas. 

Welche Verpflichtungen hat der Reiseveranstalter gegenüber seinen Leistungsträgern, wenn aufgrund zu vieler Stornos ein Camp ausfallen muss?

Da muss man auch wieder schauen, warum das Camp ausfällt. Wenn zum Beispiel ein außergewöhnlicher Umstand am Ort des Geschehens auftritt, dann ist ja der Leistungsträger selbst nicht mehr zur Leistung im Stande und verliert dementsprechend auch seinen Anspruch auf die Gegenleistung. Wenn er aber eigentlich noch im Stande ist, da bei ihm eigentlich gar nichts ist, sondern nur drei Orte weiter und alle Panik machen, dann wird man nicht davon ausgehen können, dass er seinen Leistungsanspruch nicht erfüllen kann. Er kann ja erfüllen und er will ja auch erfüllen. Dann wird er darauf bestehen, seine Forderungen, sprich seinen Mietpreis oder die Beherbergungsentgelte, auch einzufordern. Dementsprechend muss man hier im Einzelfall schauen.

Der Gesetzgeber gibt uns hier eine Lösung vor. Und zwar die „Störung der Geschäftsgrundlage“. Das ist im BGB § 313 geregelt. Davon geht man dann aus, wenn sich Umstände so maßgeblich ändern und man sagt: „Hätten wir das gewusst, hätten wir diesen Vertrag niemals abgeschlossen.“ Dann geht man davon aus, dass die Vertragsparteien eine Anpassung des Vertrages herbeiholen müssen. Es wäre ungerecht, wenn der Veranstalter zum Beispiel alles an den Leistungsträger zahlen müsste und sich dieser zurücklehnt. Denn der Veranstalter und der Leistungsträger sind beide völlig überrascht von diesen außergewöhnlichen Umständen. Der Veranstalter verliert seinen kompletten Reisepreis genauso und dementsprechend sind dies Fälle, wo eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ vorliegt. Hätte der Reiseveranstalter gewusst, dass Corona am Zielgebiet ausbricht, hätte er das Hotel nie gebucht.

Dementsprechend sind in so einer Situation die Vertragsparteien aufgerufen gemeinsam eine angemessene Lösung zur Risikoteilung zu erarbeiten. Man verteilt sich zum Beispiel den Ausfallschaden auf beide Schultern. Das wäre eigentlich angemessen und korrekt, so wie es der Gesetzgeber fordert. Aber das ist ein sehr dehnbarer Paragraf, der § 313. Er will nur deutlich machen, dass man in Verhandlungen treten muss und insofern an einer Anpassung des Vertrages arbeiten sollte.

Nehmen wir an, ein Veranstalter sagt ein Camp ab, weil zu viele Teilnehmer aufgrund von Angst und aus Vorsorge storniert haben, dann bleibt der Veranstalter zur Zahlung an seine Leistungsträger verpflichtet?

Ja, genau. Dafür hat der Veranstalter ja die Möglichkeit Stornokosten zu verlangen. Gleichzeitig kann auch der Veranstalter schauen, welche Storno-Regelungen er zum Beispiel mit der Beherbergung festgelegt hat. Auf diese Regelung kann man sich dann berufen oder man verweist auch hier wieder auf eine „Störung der Geschäftsgrundlage“. In diesem Fall müsste man noch einmal nachverhandeln und gucken, wie mit der Situation umgegangen wird ohne starr am Vertrag festzuhalten.

Wie schätzen Sie persönlich die Situation ein? 

Ich persönlich halte gewisse Maßnahmen für ein bisschen hysterisch. Vor allem momentan, wenn ich sehe, was ich für Anfragen bekomme und wie sich der Markt so verhält. Vor allem deshalb, weil man ja gar nicht absehen kann, wo man morgen sicherer ist. Also ich kann hier morgen in Deutschland unsicherer sein, als vielleicht in meinem Zielgebiet in Spanien. Und jetzt generell zu sagen „Ich verreise nicht“, halte ich nicht für die richtige Einstellung. Natürlich muss man davon die Zielgebiete ausnehmen, wo es ganz doll ausgebrochen ist und wo man auch eine Reisewarnung hat.  Davon rede ich natürlich nicht. Klar, da sind die Entscheidung sehr sehr verständlich.

Wenn aber heute Reisen abgesagt werden, die vielleicht erst in fünf Monaten stattfinden sollen, ist die Frage, ob es da überhaupt einen Absagegrund gibt. Das ist unverhältnismäßig. 

Dennoch sollten die Menschen die Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes sowie der Mediziner in ihrem Alltag ernst nehmen und große Menschenmengen sowie Sozialkontakte weitestgehend meiden.

Persönlich kann ich Reisenden nur raten jetzt nicht zu schnell ihre Rücktritte zu erklären, weil sie eben auf den Stornokosten sitzen bleiben. Und Veranstaltern rate ich, mit ihren Leistungsträgern ins Gespräch zu gehen. Sie sind jetzt beide betroffen und sollten versuchen wirklich eine angemessene Lösung zu finden, um auch zukünftig weiter miteinander zusammenzuarbeiten. 

Ganz wichtig ist es, auf jeden Fall immer darauf zu achten, ob ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Reiserechts vorliegt. Außergewöhnlich ist das natürlich alles – die Reaktionen sind außergewöhnlich. Aber die Frage ist ja, was ist der außergewöhnliche Umstand im Sinne des Reiserechts, der zum kostenlosen Rücktritt, sowohl des Reisenden als auch des Veranstalters berechtigt.

Und die Veranstalter müssen sich natürlich auch bewusst sein, dass wenn sie in Zielgebiete fahren, die davon betroffen sind und dann möglicherweise Quarantänemaßnahmen oder ähnliches verhangen werden, dass sie dann noch drei Tage nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise in der Pflicht sind für alle Kosten aufzukommen. Das kann natürlich auch sehr teuer werden, wenn man mit diesem Risiko spielt.

Alle Seiten sollten achtsam sein und vernünftig abwägen, aber nicht hysterisch oder überzogen reagieren. Denn überzogene Reaktionen führen zu Schäden auf allen Seiten. Es ist schade für die Kinder, wenn die Reise nicht stattfindet und auch für die Wirtschaft ist es furchtbar.

Liebe Frau Smettan-Öztürk, vielen Dank für das Gespräch!

Sehr gerne!


Bitte beachte, dass dieser Artikel keine Rechtsberatung ersetzt. Wenn du rechtliche Fragen zu den Folgen des Coronavirus auf deine Reisen hast, wende dich gerne jederzeit an unsere Kundenberater unter der 030 – 86 800 10 60 oder direkt an Anja Smettan-Öztürk.

Anja Smettan-Öztürk arbeitet seit 2002 als zugelassene Rechtsanwältin, ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht e.V. und setzt ihre Schwerpunkte in den Bereichen Reiserecht, Vertragsrecht und Verkehrsrecht. 

Kontaktdaten

https:// ra-berlin-charlottenburg.de

a.smettan@rechtsanwalt-smettan.de

030 – 23 62 52 71

5 / 5. Insgesamt: 12

Romie

Romie zieht als kreativer Kopf des Online-Magazins mit besonderem Geschick die Fäden, sobald es rund um PR und Marketing geht. Wenn sich Journalisten bei Juvigo melden, bildet sie die sympathisch-aufgeweckte Stimme hinter dem Team - und das aus erfahrener Überzeugung! Als Kind war Romie das ein oder andere Mal in den Reiterferien, ihr Herz gehört aber dennoch bis heute den Action-Camps, obwohl sie früher Neptunfeste als ihren Erzfeind auserkoren hatte. Stattdessen standen Nachtwanderungen und Schnipseljagden auf dem Lieblingsprogramm! Heute vertreibt sich Romie ihre Freizeit mit Nähen, Radfahren und dem Backen köstlicher Spezialitäten. Außerdem unternimmt sie viel mit Familie und Freunden.

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